Marktwert / Verkehrswert

In der Marktwirtschaft, die auch als Verkehrswirtschaft bezeichnet wird, bei der es um die freie Übertragung des zu bewertenden Objektes geht oder dies fiktiv zu unterstellen ist, ist die Ermittlung des marktüblichen Preises zum Wertermittlungsstichtag erforderlich. Für derartige privatwirtschaftliche Immobilien-Transaktionen existiert im bürgerlichen Recht kein gesetzlich definierter Wertbegriff. In Deutschland wird i.d.R. noch ersatzweise auf den aus dem Verwaltungsrecht/Bauleitplanungsrecht stammenden und im Jahr 1960 eingeführten Begriff des »Verkehrwerts« zurückgegriffen, da er die wesentlichen Anforderungen an den noch vom Reichsgericht (Vorläufer des Bundesgerichtshofes) geprägten Begriff des »gemeinen Werts« einer Sache beinhaltet. Dieser bot davor eine aus der Rechtsprechung abgeleitete Orientierung und findet teils auch heute noch in anderen Rechtsbereichen Anwendung (z.B. Steuerrecht).

Im derzeit geltenden § 194 Baugesetzbuch (BauGB) ist der Begriff des Verkehrswerts wie folgt definiert:

Der Verkehrswert wird durch den Preis bestimmt, der in dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre.

In den letzten Jahren zeigte sich aufgrund des angestrebten einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes sowie der zunehmenden grenzüberschreitenden Immobilien-Transaktionen, dass auch im Wertermittlungswesen eine supranationale Harmonisierung von Wertbegriffen und Wertermittlungsstandards immer dringlicher wird. Dies gehört zu den ungeregelten Bereichen in der Europäischen Union und dürfte — wie bisher von den nationalen Gesetzgebern — auch von ihr nicht ausgefüllt werden. Aufgerufen dies zu übernehmen sind die Sachverständigen mit ihren Verbänden und die anderen wesentlich auf Bewertungen angewiesenen Organisationen — insbesondere aus dem Wirtschafts- und Rechtswesen.

In 1997 wurden daher von der TEGoVA (The European Group of Valuer’s Associations), einem Zusammenschluss maßgeblicher, aber leider nicht aller im Bewertungswesen wichtigen nationalen Organisationen auf europäischer Ebene, erstmals im sog. »Blue Book« die »Approved European Valuation Standards« veröffentlicht. Das Blue Book definiert im European Valuation Standard 4 (EVS 4) den hier relevanten Begriff des »Marktwerts« (Market Value) wie folgt:

Der Marktwert ist der geschätzte Betrag, für welchen ein Immobilienvermögen am Tag der Bewertung zwischen einem verkaufsbereiten Veräußerer und einem kaufbereiten Erwerber, nach angemessenem Vermarktungszeitraum, in einer Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ausgetauscht werden sollte, wobei jede Partei mit Sachkenntnis, Umsicht und ohne Zwang handelt.

Ungeachtet der semantischen Unterschiede ist m.E. bei beiden Definitionen eine prinzipielle Übereinstimmung der Definition des Werts gegeben. Bei der Definition des Verkehrswerts nach § 194 BauGB könnte man zwar bemängeln, dass sie nichts über die Vermarktung und die erforderlichen Beteiligten sagt. Dies ist vor dem Hintergrund erklärlich, dass die Definition im Verwaltungsrecht/Bauleitplanungsrecht verankert ist und originär auf Bewertungsfälle abgestellt ist, die aufgrund staatlicher Planungen Eingriffe in das Privatvermögen verursachen (z.B. Bewertungen bei Planungsschäden, Enteignungen u.ä.). Hier sind Bewertungen zur Wiederherstellung des Privatvermögens und nicht unter dem primären Gesichtspunkt der Vermarktung des Objekts erforderlich. Allerdings ist nun auch kein gewöhnlicher Geschäftsverkehr ohne Beteiligte und eine entsprechende Vermarktung des Objekts anzunehmen. Dies ist daher als implizite Voraussetzung in der Definition enthalten.

Bei der Definition des Marktwerts nach EVS 4 könnte man hingegen bemängeln, dass nicht zum Ausdruck gebracht wurde, dass auch die Eigenschaften und sonstigen Gegebenheiten des Wertermittlungsgegenstandes in der Bewertung zu berücksichtigen sind. Doch wie sollten die beteiligten Parteien mit Sachkenntnis und Umsicht handeln, wenn sie nicht hinreichend die rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, die sonstige Beschaffenheit und die Lage des Objekts bei ihren Überlegungen berücksichtigen würden? Die Erfordernis zur Beurteilung der Eigenschaften und sonstigen Gegebenheiten des zu bewertenden Objekts ist daher m.E. ebenso implizit in der Definition enthalten.

Als gemeinsamer Nenner beider Wertbegriffe kann somit festgehalten werden, dass die Bewertung als Preisprognose zum Wertermittlungsstichtag für eine hypothetische Immobilien-Transaktion im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zwischen zwei unabhängigen Parteien unter Ausschluss von ungewöhnlichen Umständen und besonderen Interessen der Beteiligten, unter Berücksichtigung der Marktverhältnisse sowie der rechtlichen und physischen Eigenschaften des Wertermittlungsobjekts vorzunehmen ist.

Die im Blue Book definierten Begriffe und Standards haben zurzeit noch keine Verbindlichkeit. Weiterhin ist auch noch ein weiterer Abstimmungs- und Harmonisierungsprozess unter Einbeziehung weiterer Repräsentanten erforderlich. Es ist allerdings schon jetzt festzuhalten, dass der Begriff des Marktwerts die Weiterentwicklung des nationalen Verkehrswert-Begriffs für privatwirtschaftliche Immobilien-Transaktionen auf europäischer Ebene ist. Seine Anwendung führt auch zu keinem anderen Ergebnis als die Anwendung des bisherigen nationalen Verkehrswert-Begriffs.

Im Bereich der Kredit- und Versicherungswirtschaft ist er bereits eine verankerte und zunehmend praktizierte Größe. Auch für Unternehmen wird er im Zuge der zunehmende Internationalisierung des Rechnungs- und Bilanzierungswesens in den nächsten Jahren bedeutsam, da hier eine Ergänzung der bisherigen auf Anschaffungs- und Herstellungskosten beruhenden Bilanzierungssysteme für Immobilienanlagen durch die Beilegung des aktuellen Marktwertes vorgesehen ist. Die Anwendung des Marktwert-Begriffs, wie auch die Berücksichtigung internationaler Bewertungsverfahren ist somit zukünftig verstärkt zu erwarten und sollte m.E. in solchen Zusammenhängen schon jetzt bevorzugt angewendet werden.

Aktuelle

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